Smart Service und Industrie 4.0
Am 08.12.2015 hielt Herr Martin Stocker von SAP einen Gastvortrag zum Thema „Content ist King, Context ist King Kong“ an der Hochschule Heilbronn. Im Anschluss daran hatten wir, zusammen mit Frau Prof. Dr. Sonja Salmen, die Gelegenheit, ein Interview mit Herrn Stocker zu führen. Dabei ging es unter anderem um die spannenden Themen Smart Service und Industrie 4.0, sowie die Erweiterung des Kerngeschäftes eines Unternehmens durch neue Dienstleistungsangebote.
Social Media Balloon: Erst einmal möchten wir uns für das Interview bedanken. Würden Sie sich unseren Lesern kurz vorstellen?
Martin Stocker: Mein Name ist Martin Stocker. Ich bin Solution Marketing Manager bei SAP und dort zuständig für die Zielgruppe Marketing.
Social Media Balloon: In Ihrem Vortrag ging es nicht mehr nur um das klassische Marketing. Warum ist in der heutigen Zeit der einfache Produktverkauf für ein Unternehmen nicht mehr ausreichend?
Martin Stocker: Die jeweiligen Produktinformationen unterscheiden sich heute fast nicht mehr, weil es einfach viel zu viele gibt. Früher waren es 3.000 Werbebotschaften am Tag, mittlerweile sind es 5.000 Stück, Tendenz steigend. Das Problem ist, dass man die einzelnen Produkte nicht mehr strikt voneinander unterscheiden kann und die Preise beinahe überall ähnlich sind. Den eigentlichen Unterschied macht heute der Service und das Markenerlebnis aus.
Social Media Balloon: Können Sie uns konkrete Ideen nennen, wie ein Unternehmen heute die Kundenbindung stärken kann, ohne die eigenen Kunden zu belästigen?
Martin Stocker: Ein wichtiger Punkt ist, dass man den Kunden vor, während und nach dem Kauf betreut. Dazu ist es notwendig, möglichst personalisierte Daten des Kunden zu besitzen. Viele Unternehmen machen dies beispielsweise durch Clubmitgliedschaften oder über die direkte Kundeninteraktion. Dabei sammeln sie Daten über den Kunden und dessen Produktnutzung und können diese Daten analysieren. Dieses Geschäft darf jedoch nicht einseitig sein, d.h. dem Kunden muss dadurch auch ein Mehrwert entgegengebracht werden. Genauso agieren Marken heute. Reiseunternehmen übersenden ihren Kunden Geburtstagskarten mit den Hinweisen: „An Ihrem Geburtstag könnten Sie hier sein“ oder „Zu Ihrem Geburtstag haben wir dieses Geburtstagsangebot extra für Sie zusammengestellt“.
Social Media Balloon: Sie haben jetzt von Daten sammeln gesprochen. In der heutigen Zeit ist dies durchaus auch ein kritisches Thema. Was macht man als Unternehmen, um beim Kunden nicht das Gefühl zu entwickeln, nur an seinen Daten interessiert zu sein?
Martin Stocker: Kunden gaben ihre Daten auch früher in Kaufhäusern preis. Der Unterschied zu heute ist, dass wir an den verschiedenen Touchpoints selbst Daten hinterlassen, die auffindbar und verfügbar sind. Die Schwierigkeit für Unternehmen liegt darin, die massenhaften Daten zu analysieren und daraus vernünftige Informationen zu generieren. Im Regelfall besitzt man die passende Technologie für diese Analysen. Viel wichtiger ist jedoch, das Richtige mit den gewonnenen Kundendaten anzufangen. Man benötigt dafür Business Intelligence, um Muster in diesen Daten erkennen zu können. Darauf aufbauend können Kampagnen gestartet oder automatisierte Informationen weitergegeben werden. Wenn man als Unternehmen den Kunden aus seiner eigenen Perspektive betrachtet, kommt man auf viele Ideen wie man wiederum als Kunde behandelt werden möchte.

Smart Service steht in Deutschland noch am Anfang
Social Media Balloon: In Ihrem Vortrag sind Sie schon kurz auf Smart Service eingegangen. Smart Service ist ein sehr innovatives und aktuelles Thema. Wie sehen Sie den aktuellen Entwicklungs- und Forschungsstand, insbesondere in Deutschland, zum Thema Smart Service?
Martin Stocker: Ich glaube, dass wir zu diesem Thema in Deutschland erst am Anfang stehen. Im Moment arbeitet SAP zusammen anderen großen Partnern an einem gemeinsamen Projekt.
Der Kern von Smart Service ist die Kommunikation von Maschinen bzw. Sensoren untereinander, damit durch diese Kommunikation etwas Neues entsteht. Diese Kommunikation benötigt eine starke Plattform, beispielsweise von SAP, und die Möglichkeit zur Analyse der gewonnenen Daten. Letzteres wird von SAP verwirklicht, um in den Daten wieder Muster zu erkennen und daraus Aktionen tätigen zu können.
Die Kommunikation muss dabei im richtigen Kontext erfolgen, d.h. ich muss mir unbedingt einen Service überlegen, der Sinn macht. Nur weil ein Gerät internetfähig ist, heißt es nicht, dass es auch intelligent ist. Ein Beispiel, wo die Nützlichkeit eines Gerätes erst auf den zweiten Blick zu erkennen ist, stellt die WLAN-fähige Zahnbürste dar. Dabei geht es in erster Linie darum zu erkennen, ob die Zähne richtig geputzt werden. Gleichzeit soll beim Zähneputzen durch ein Bonussystem ein Anreiz in der Familie geschaffen werden. Die soziale Komponente, also der Austausch und Vergleich mit anderen, kommt hierbei ins Spiel. Dies ist der Hauptgrund warum diese Dienste funktionieren.
Warum eine Zahnbürste internetfähig ist, hat aber andere Gründe. Durch die Sensoren können Informationen über die Mundflora und somit über den Gesamtgesundheitszustand gewonnen werden. Diese persönlichen Daten sind für den Hersteller sehr wichtig, weil er damit seinen Kunden gegenüber ganz anders agieren kann. Hier kommt auch das Thema Datenschutz wieder ins Spiel. Das Vertrauen, diese persönlichen Daten zu übermitteln, entsteht nur, wenn man mit diesen Daten sorgsam umgeht, den Kunden einbezieht und ihn fragt, was man mit den Daten machen darf.
Was Smart Service betrifft, stehen Länder wie Südkorea, Schweden oder USA diesem Trend offener gegenüber und sind deshalb auch weiter. In Deutschland gewinnt die Bewegung jedoch auch immer mehr an Akzeptanz, was auch wichtig ist, um den Anschluss nicht zu verlieren.
Social Media Balloon: An dieses Thema würden wir gerne anknüpfen. Welche Gewichtung hat das Thema Smart Service für die deutsche Wirtschaft, auch im Hinblick auf Industrie 4.0? Was genau heißt Industrie 4.0 eigentlich?
Martin Stocker: Das Thema hat, auch bei unseren Kunden, eine hohe Relevanz. Jeder weiß, dass dies die nächste Welle sein wird. Übrigens ist Industrie 4.0 ein Wort, dass SAP mit geprägt hat. Industrie 4.0 bedeutet für uns die komplette Vernetzung von Maschinen und Kunden, insbesondere im Bereich des Bestell- und Produktionsprozesses. Es soll eine Transparenz geschaffen werden, um dadurch gegenüber der Konkurrenz einen Kosten- und Zeitvorsprung in der gesamten Logistik zu gewinnen. Ein Beispiel hierfür sind Superöltanker, die Öl von Saudi Arabien nach Asien transportieren. Diese Schiffe haben mittlerweile 3D-Drucker an Bord, um sich ggf. unterwegs Ersatzteile vor Ort erstellen zu können. Dies spart Zeit und Geld.
In einem Industrieland wie Deutschland bedeutet es eine Vormachtstellung zu schaffen, wenn man ohne großen Kosten- und Zeitaufwand produzieren kann. Daran scheitern andere Nationen noch. Dies wird aber durch die steigende Individualisierung in der Produktion immer wichtiger.
Wie funktioniert Marketing im Rahmen von Industrie 4.0?

Herr Martin Stocker von SAP und Frau Prof. Dr. Sonja Salmen
Prof. Dr. Salmen: Wie verändert sich durch Industrie 4.0 das Marketing? Wie muss das Marketing ausgerichtet werden und welche Marketingdienstleistungen sind jetzt gefragt?
Martin Stocker: Das Marketing wird immer mehr mit den Maschinen direkt verknüpft.
Ein Beispiel dazu ist der Airfryer von Philips, eine Fritteuse, welche Pommes mit nur einem Tropfen Öl auf Luftbasis frittiert. Diese Fritteuse ist WLAN-fähig und orientiert sich an der Nutzung seiner Kunden. Auf dieser Basis erhält der Kunde persönliche Rezeptvorschläge. Diese Fritteuse stellt damit nicht nur eine Maschine dar, sondern ermöglicht auch eine gesunde Ernährung. Zudem besteht aus Sicht des Marketings eine direkte Kommunikation mit dem Kunden. Im Fußball trainieren TSG Hoffenheim und die deutsche Nationalmannschaft bereits mit Wearables, die den Herzschlag über Sensoren messen. Menschen mit Herzschrittmachern kann diese Technologie als Warnsystem fungieren.
Durch unsere Handynutzung haben wir die Möglichkeit, dass uns genau die Dienste angeboten werden, die wir im Moment benötigen. Diese Smart Services sind einfach und ermöglichen es Unternehmen, sich von der Konkurrenz zu unterscheiden. Diese Möglichkeiten muss das Marketing zwingend für sich nutzen.
Social Media Balloon: Dies führt uns zur nächsten Frage. Die Einzelhändler in den deutschen Innenstädten haben im Moment das Problem, dass sie durch größere Marktteilnehmer verdrängt werden. Welche Chance sehen sie durch Smart Service für diese kleineren Unternehmen und können diese davon profitieren?
Martin Stocker: Ich meine schon. Die Nähe zu den Kunden kann für diese Unternehmen der entscheidende Faktor sein, da sie individuelle Trends und Wünsche ihrer Kunden aufgreifen und bedienen können. Natürlich müssen sie in der Lage sein, die Liefer- und Produktionskette abdecken zu können, die hinter der Individualisierung steckt. Der Trend zur Individualisierung kommt immer mehr, genauso wie der Wunsch nach hochwertigen Produkten. In den Nachrichten wurde zum Beispiel berichtet, dass der Konsum an hochwertigem Fleisch immer mehr zunimmt. Der steigende Bedarf kann jedoch von den heimischen Metzgern fast nicht mehr gedeckt werden, da es so viele Metzgereien gar nicht mehr gibt.
Der Wunsch nach regionalen Produkten, sowie Spezialitäten aus der Region, nimmt ebenfalls zu. Betrachten wir an dieser Stelle beispielsweise den Heilbronner Wein. Der Wein, den die Region produziert ist so hochwertig, dass dieser sich auch International messen lassen kann. Wenn man diese Produkte auf den Markt bringt und gut vermarktet, hat man gegen die großen Player auch als kleines Unternehmen eine Chance, wenn man seine Kunden besser kennt und auf deren Gewohnheiten eingeht. Große Unternehmen können auf solche kleinen regionalen Trends nicht oder nur spät reagieren und bieten dann oft auch nicht die gleiche Qualität. Kleine Unternehmen müssen ihr Differenzierungsmerkmal von Anfang klar positionieren. Ein anderes Beispiel ist die höchste Dichte an privaten Brauereien, die ihre Produkte nur in einem kleinen Umkreis anbieten. Die Identifikation mit diesen Brauereien ist dadurch sehr groß. Zum Teil kann man sich das Bier vor Ort nur direkt abfüllen lassen. Trotzdem kommen die Leute und holen sich genau dieses Bier. In diesem Fall führt eine künstliche Verknappung zu einer Begehrlichkeit bei den Kunden.
Prof. Dr. Salmen: Es gibt jetzt immer mehr Handwerker die das Social Web für sich entdecken. Ist für Handwerker das Thema Social Web und Smart Service überhaupt interessant? Wie kann solch ein Unternehmen Teil eines Smart Service werden?
Martin Stocker: Hier ist es wichtig, dass man im Internet auch als kleiner Handwerker auffindbar ist, weil man bereits gegen die unsichtbaren Anbieter gewinnt. Da der Preis und das Produkt bzw. der Service austauschbar sind, ist die Zeit der entscheidende Faktor. Time to Market bedeutet hier die Logistik und Verfügbarkeit der gewünschten Dienstleistung.
Prof. Dr. Salmen: Der alleinige Besitz spielt auch nicht mehr die Rolle. Heute muss man eine Sache nicht zwingend besitzen. Lediglich die Verfügbarkeit, dann wenn man sie benötigt, ist wichtig. Man will für ein Produkt nur dann etwas bezahlen, wenn man es auch braucht.
Social Media Balloon: Herr Stocker vielen Dank für das Interview und die interessanten Informationen, die wir von Ihnen gewinnen konnten.
Lesen Sie hier mehr über Smart Services – Chancen für den deutschen Einzelhandel.