Software-Design – Die Schönheit macht den Unterschied!
Ist Schönheit zukünftig das entscheidende Kriterium für erfolgreiche Software? In einem Interview mit Ludwig Neer, dem Vorstand der CAS Software AG, wird auf die Bedeutung von Schönheit in Bezug auf Software-Design eingegangen. Welche Rolle spielt Schönheit im Bereich Software Design? Lässt es sich durch Kennzahlen erfassen? Und wie sieht das Software Design in der Zukunft aus?
Dies und vieles mehr verrät uns der Experte Ludwig Neer im folgenden Interview.
Prof. Dr. Sonja Salmen: Wie definieren Sie Schönheit?
Herr Neer: Es gibt zwei Arten von Schönheit für mich. Einmal die empfundene Schönheit der Mehrheit und eine empfundene Schönheit von Künstlern, die Schönheit generieren.
Wenn ich mich aber für eine Antwort entscheiden müsste, dann ist Schönheit das, was der Mehrheit der Menschen gefällt.
Prof. Dr. Sonja Salmen: Ist die Einfachheit eine Voraussetzung für Schönheit?
Herr Neer: Es ist sehr viel leichter, etwas als schön zu empfinden, wenn es zugleich einfach ist. Es gibt aber auch schön empfundene Beispiele mit einer hohen Komplexität, zum Beispiel der Eiffelturm, der eigentlich nicht auf Schönheit ausgelegt wurde, zu der Zeit vielen Menschen ein Dorn im Auge war und als Verschandelung von Paris empfunden wurde. Heute ist es genau umgekehrt und wird trotz seiner Komplexität als schön wahrgenommen. Er hat eine sehr einfache Form aus der Ferne und eine sehr hohe Komplexität aus der Nähe. Hier herrscht eine ambivalente Situation in der nur der Betrachter über Schönheit entscheiden kann.
Prof. Dr. Sonja Salmen: Kann jeder Mensch ein schönes Design entwerfen, das von allen anderen als schön empfunden wird, oder bleibt diese Kunst Wenigen vorbehalten?
Herr Neer: Es ist definitiv eine Kunst, die nur Wenige beherrschen. Schon alleine kreativ zu sein, ist leider oft ein Minderheiten-Thema. Kreative Workshops helfen zwar um schlummernde Talente zu wecken, aber einen in der Kreativität nicht über das Mittelmaß hinaus kommenden Menschen, wird es trotzdem bei eigenen Projekten schwer haben. Diese Fähigkeit ist meist angeboren.
Prof. Dr. Sonja Salmen: Lässt sich der „gute Geschmack“ im Design durch klare Kennzahlen bestimmen, oder ist dies eine rein intuitive Fähigkeit?
Herr Neer: Fachleute und Spezialisten können immer begründen, weshalb etwas schön ist. Dies in Kennzahlen zu bringen, erscheint mir außerordentlich schwer. Dabei handelt es sich um argumentative Ketten von Begründungen. Es sind klare Linien, in denen Spezialisten sagen können, weshalb ein Auto oder ein Autodesign gefällt und warum nicht. Wenn sie argumentieren, dann sehen sie das plötzlich auch. Das ist in der Regel aber nur den Experten vorbehalten und so habe ich es auch noch nicht betrachtet, dass Nicht-Fachleute dafür Kennzahlen wünschten. Also ist es mehr eine empfundene und intuitive Fähigkeit.
Prof. Dr. Sonja Salmen: Gibt es Ihrer Meinung nach heutzutage ein ausreichendes Angebot für Bildung in den neuen Software-Design Disziplinen?
Herr Neer: Nein, absolut nicht! Der Bedarf in der Industrie ist immens, wo heute immer mehr und immer größere Firmen dahinter kommen, dass Gestaltung und Design für diese neuen Produktwelten essentiell erfolgskritisch sind. Sie suchen momentan diese Talente und werden aus anderen Bereichen abgezogen. Meiner Erfahrung nach sind Menschen mit einem Psychologie-Studium oder Studiengängen, in denen Empathie schon immer eine Rolle gespielt hat, sehr gut als User Experience Spezialisten geeignet. Dieses „In Menschen Hineinversetzen“ und Probleme verstehen, ist eine Grundvoraussetzung. Wenn dazu noch gestalterisches Gespür kommt, schöne Dinge auszuwählen, sind diese Personen für heutige Unternehmen sehr interessant. Im Moment funktioniert das häufig so, dass Personen aus benachbarten Disziplinen und dabei kreative Neigungen zeigen, abgeworben werden. Aber sie werden wahrscheinlich an keiner Hochschule oder Universität eine Ausbildung zum Softwaredesigner, in der Form in der man es benötigt, finden. Daran sollte man arbeiten und das sollte sich rasch ändern. Vor eineinhalb Jahren habe ich einen Vortrag an der Hochschule in Karlsruhe gegeben, worauf dort ein derartiger Studiengang angeboten wurde. Dieser hatte im Anschluss sogar die meisten Anmeldungen. Das ist also ein Thema, was sehr gut bei den Bewerbern ankommt und viele interessiert.
Prof. Dr. Sonja Salmen: Benötigt es zur Akzeptanz von Design eine Marke zur Identifikation?
Herr Neer: Wir werden sehen, wie sich Apple ohne Steve Jobs in der Zukunft entwickelt. Es ist durchaus möglich, dass sich Apple in Richtung Durschnitt normalisiert. Bei anderen Firmen kommt es tatsächlich vor, dass die Produkte mit Personen verknüpft werden, was aber meiner Meinung nach rückläufig sein wird. Es gibt im Designbereich eine interessante Untersuchung, dass die meisten schönen Lampen aus Italien kommen. Dabei arbeiten 92 Prozent der erfolgreichen Unternehmen ausschließlich mit externen Designern zusammen. Es werden Wettbewerbe gestartet, bei dem das schönste Design den Zuschlag bekommt. Design ist leider eine sehr tagesformabhängige Tätigkeit. Hier ist es sehr wahrscheinlich, dass es bei Software eine ähnliche Entwicklung gibt, bei dem sich App-Agenturen etablieren werden, die sich wie in der Werbebranche mit einem Pitch bewerben, einen Designentwurf abgeben. Im Gesamtprojektverlauf würde dadurch die Gestaltung von der tatsächlichen Realisierung getrennt. Anschließend können die gestalteten Entwürfe an die Softwareentwicklung weitergegeben und in Apps programmiert, also umgesetzt werden.
Somit wird in Zukunft die Gestaltung nicht vorrangig von Design-Ikonen entstehen, sondern durch Agenturen, in denen namenlose Designer oder Design-Teams Gestaltungen entwerfen.
Prof. Dr. Sonja Salmen: Inwiefern haben die App-Designer Einfluss auf die Geschmäcker der Zukunft der Menschen, entscheiden also aktiv mit, was bald als schön empfunden wird?
Herr Neer: Ich bin davon überzeugt, dass die Entwickler und deren häufig verwendeten Paradigmen Einfluss auf die Geschmäcker der Zukunft haben. Ein Beispiel ist das Design von Facebook, bei dem das Menü von der linken Seite durch Wischen geöffnet und wieder geschlossen wird, was sich bei zahlreichen beliebten Apps mittlerweile etabliert hat.
Einfachheit, Schönheit, Geschmeidigkeit und ein Business-Modell, was eine frühe virale Verbreitung ermöglicht, sind zweifellos die Faktoren, die eine erfolgreiche App ausmachen.
Ein weiteres Beispiel ist Dropbox, das mit einem einfachen Design überzeugt und durch Einladen von Freunden, zusätzlichen Speicherplatz verspricht. Durch die bewusste Offenheit der Plattform hat sich um Dropbox herum ein Ökosystem gebildet, was heute durch viele Apps als Speicherort genutzt wird und die Nutzbarkeit und Reichweite ständig erweitert.
Prof. Dr. Sonja Salmen: Schließt die Fähigkeit zu programmieren eine künstlerische Fähigkeit aus? Steve Jobs und Bill Gates sind hier Beispiele, die jeweils nur in einer Disziplin wirklich erfolgreich waren.
Herr Neer: Diese Fähigkeiten schließen sich nicht wirklich aus. Ich habe in meinem Berufsleben aber nur einen Programmierer erlebt, der auch über einen vollkommenen Geschmack und ein nahezu vollendetes Ästhetik-Bewusstsein verfügte. Diese Personen gibt es, jedoch nicht in der notwendigen Häufigkeit. Hier findet eine starke Spezialisierung statt, bei dem Profiagenturen allgemeine Designer für Software beschäftigen und gleichzeitig ihre Mitarbeiter in weiteren Disziplinen entfalten lassen. Dabei gibt es Menschen, die sehr gute Icons gestalten, dann welche, die in der Lage sind, auf einer kleinen Fläche ganze Geschichten zu erzählen. Andere sind in der Lage, aus der Vogelperspektive Probleme zu identifizieren und zu orchestrieren. Daher rechne ich mit immer weitergehender Spezialisierung und deren intelligenter Vernetzung.
Prof. Dr. Sonja Salmen: All Ihre Anwendungen werden als Softwareprodukte in Form einer App in Ihrem Ökosystem angeboten. Wird in Zukunft Ihrer Meinung nach Software nur noch in App-Form angeboten?
Herr Neer: Meiner Meinung nach wird sich die Software-Darreichung in Zukunft auf Apps konzentrieren. In den vergangenen Jahren unterstützen die Betriebssysteme, wie Windows 8, Apps und fokussierten sich auf die neuen Paradigmen wie Design, Einfachheit und Distributionsformen – etwa digitale Marktplätze mit Kundenbewertungen. Dieser Wandel wird auch die Arbeitsweise beeinflussen: Die Anwender werden sich auf einen Bildschirm konzentrieren und nicht wie bisher parallel in fünf Fenstern arbeiten, was wie einige Fachleute sagen, sowieso nicht funktioniert. Das Arbeiten wird unabhängig der Bildschirmgröße mehr im Fullscreen stattfinden.
Bei der Bildschirmgröße haben wir herausgefunden, dass es einfacher ist, die Anwendungen zu Beginn auf den kleinen und mobilen Plattformen zu entwickeln und anschließend auf die größeren Bildschirme zu portieren. Dabei muss im Anschluss der zusätzliche Platzgewinn genutzt werden, um sinnvoll weitere Funktionen zu integrieren. Dabei nehmen die Menschen gerne eine homogene App-artige Oberfläche an, die auf Schönheit gestaltet ist und trotzdem mit Mehrfunktionen sinnvoll erweitert wurde.
Wir gehen speziell den Weg, innerhalb einer Rahmenanwendung die Darreichungsform in Apps gestalten und diese Apps in einem internen CRM-Store anbieten, der über 100 Funktionsblöcke und –Gruppen beherbergen wird. Damit haben die Nutzer die Möglichkeit, nur die Funktionen auszuwählen, die sie wirklich persönlich benötigen, was meist nicht mehr als ein Duzend sind. Damit bleibt eine nicht nur gefühlte, sondern tatsächliche Übersichtlichkeit gewahrt. Zudem geben wir den Menschen durch Apps die Darreichungsform, die sie lieben, und nennen das in unserem Ökosystem ein App-in-App-Konzept.
Herr Neer: Das sind viele Faktoren. Unsere Mitarbeiter loben zunächst einmal die familiäre Atmosphäre, die offenen Wege, die unkomplizierte Kommunikation. Wir haben bei der CAS Software AG vor einigen Jahren eine Netzwerkorganisation eingeführt, bei der aktuell 27 Organisationen formal direkt miteinander kommunizieren.
Darin gibt es keine Profit-Center, um keinen Wettbewerb der jungen Talente entstehen zu lassen. Stattdessen sollen sich die Teams gegenseitig helfen. Diese Organisationsform fördert die Kollegialität und Zusammenarbeit. Dazu bündeln wir Spezialisten in kleinen Gruppen von meist unter zehn Personen. In diesen Gruppen findet eine starke Unterstützung statt und es bedarf bei einer guten Grundorganisation kaum der Führung. Hier gehen wir auf einen meiner Meinung nach neuen Trend ein, der sagt, dass sich Manager zum Großteil auf die Organisation konzentrieren und nur nebensächlich führen. Somit können unsere Mitarbeiter eigenständiger arbeiten, ohne dass ein Manager „reinredet“, was eine viel höhere Wirkungsmacht des Einzelnen bringt. Diese allgegenwärtige Einflussmöglichkeit ist dann das, was einen Menschen im Arbeitsalltag wirklich Freude bereitet. Alles andere ist sekundär.
Mehr von Ludwig Neer zum Thema Software-Design gibt’s im folgenden Video vom World Usability Day 2012 in Mannheim: